Heute möchte ich euch eine Geschichte aus meiner Kindheit erzählen. Sie ist am Anfang eigentlich nicht so schön und meine Eltern kommen im ersten Moment schleckt weg. Aber bevor ihr urteilt lest die Geschichte bitte bis zum Schluss. Das Ende könnte nämlich schöner nicht sein.
Der Anfang
Wir lebten in einem Dorf in der Nähe von Weitra. Meine Eltern waren hier mit uns her gezogen als ich zirka 4 Jahre alt war. Ich war eine kleine Laus und jeder im Dorf kannte mich. Meine Nachmittage verbrachte ich damit von Bauer zu Bauer zu radeln und die neuesten Dorfnews einzusammeln.
Bei manchen Bauern bekam ich Süßigkeiten und klebrige Getränke. Ein Paradies für so einen Zwerg. Wie gesagt, jeder kannte mich. Jeder lobte meine Eltern, weil wir wohl gut erzogen waren. Höflich, nett und zuvorkommend. Sie hatten selten was zu Meckern über uns. Gut, nach der Ernte sah das etwas anders aus. Da sind meine Brüder und ich immer raus auf die Felder und haben auf den Stroh- und Heuballen herum geturnt. Wenn das die Bauern sahen waren die natürlich wenig erfreut darüber. Da kamen dann schon einmal Beschwerden. Sofern sie uns überhaupt erwischten. Schließlich stand einer Schmiere und schlug Alarm, wenn er den Bauern schon von weiten fluchend auf uns zu kommen sah. Ihr könnt euch vorstellen, wir nahmen die Beine in die Hand und liefen, was das Zeug hielt.
Aber im Großen und Ganzen waren wir brave Kinder. Man konnte uns vertrauen und die Leute wussten das. Ab und zu wurde ich von den älteren Damen des Dorfes zum Greißler geschickt, um Besorgungen für sie zu machen. Und der Greißler selbst schickte uns immer wieder einmal zum Wirten, um Zigaretten für ihn zu holen. Alle wussten, dass man uns Geld anvertrauen kann. Wir sind brav.
Eine neue Familie zieht ins Dorf
Eines Tages zog eine neue Familie in unser Dorf. Sie bezogen das Haus gegenüber des unsrigen. Es war eine türkische Familie. Mama, Papa, Tochter und Sohn. Die Tochter war in meinem Alter und wir verstanden uns auf Anhieb. Wir haben sehr viel Zeit miteinander verbracht, denn sie und ihr kleiner Bruder waren den ganzen Tag alleine zuhause. Die Eltern mussten arbeiten. Meine Eltern haben sich dann auch um die Kinder gekümmert. Meine Mutter hat die zwei immer zum Essen eingeladen. Ihre Eltern und meine Eltern verstanden sich auch prima und irgendwie gab es dann wohl eine stille Übereinkunft.
Das Mädchen hieß S. und ihr Bruder war der kleine A. Als die Schule wieder losging entschieden S. Eltern den kleinen A. zurück zu schicken in die Türkei zu Verwandten.
Der verhängnisvolle Tag
Jetzt gab es nur noch S. und mich. Eines schönen Tages musste ich für meine Eltern etwas vom Greißler besorgen. Ich nahm S. mit. Ich nahm sie immer überall hin mit. Wir machten die Besorgungen. Und ich sah beim Greißler, dass S. einfach etwas mitnahm. Etwas, das sie schon immer haben wollte, aber ihre Eltern hatten kein Geld, um ihr das zu kaufen. Sie stahl es einfach so. Und ich habe nichts gesagt. Wir brachten die Besorgungen meinen Eltern und das Diebesgut versteckten wir danach in S. Zimmer. Ich war damals neun Jahre alt und ich habe sie nicht verpetzt, weil ich nicht wollte, dass ihr etwas passiert. Ich kannte ihren Vater.
Am Abend, ich war schon zuhause und eigentlich fertig fürs Bett, stürmte S. Vater mit ihr die Tür herein und regte sich furchtbar auf. Er hat das Diebesgut entdeckt. Und er hat geschimpft und war rasend vor Wut. Meine Mutter rief mich zu ihr und fragte mich „Babsi, hast du das gestohlen und dann bei S. versteckt?“. Ich sah S. an. Sie hatte furchtbare Angst. Ihr Vater sah aus wie ein wütender Bulle mit Blutroten Augen. Und ich sah meine Mutter an und sagte, ganz leise „Ja, habe ich. Es tut mir leid.“ Meine Mutter hat mir eine gewischt. Mitten auf meine Wange. Sie drückte mir das Diebesgut in die Hand und sagte, dass ich das sofort dem Greißler zurück bringen muss.
Es folgte…ein grausiges Gefühl
Ich nahm das Ding (ich glaube, es war eine Barbie Puppe) und ging demütig, mit hängenden Schultern, hängendem Kopf und weinend zum Greißler. Ich schämte mich so sehr für etwas, das ich nicht getan habe. Mein Vater begleitete mich. Den ganzen Weg hat er nicht ein Wort gesagt zu mir. Er hat mir nur auf die Schulter geklopft. Als wir dann beim Greißler waren und ich die Puppe über den Tresen schob, sagte mein Vater plötzlich zum Greißler „Wie viel kostet die?“ Er bezahlte und wir gingen wieder zurück. Wieder sagte er kein Wort und ich verstand nicht ganz, warum er das jetzt getan hatte.
Ich war sehr traurig an diesem Abend. Meine Mama hatte mir eine gewischt. Mein Vater sprach nicht mit mir. Und jeder würde jetzt denken, ich hätte etwas gestohlen. Wir sprachen nie wieder über diesen Vorfall von diesem Abend. S. und ich blieben natürlich Freunde und ich schenkte ihr die Puppe. Jetzt war sie ja bezahlt. Nur nahm ich S. nie wieder mit zum Greißler. Sie musste immer vor der Tür warten.
Das Ende der Geschichte
Ich konnte irgendwie nie damit abschließen. Immer wieder musste ich daran denken, dass meine Mutter glaubt, ich hätte etwas gestohlen. Ich lebte mit der Schande, die Dorfdiebin zu sein. Jahre waren mittlerweile vergangen. Jetzt war ich schon selbst Mama von drei Kindern. Wir saßen bei meiner Mutter im Garten. Meine Jungs stritten wegen irgendwas. Und ich sah meine Mama an und sagte „Ich habe nie etwas gestohlen.“
Sie sah mich ganz liebevoll an und meinte „Schatz, das weiß ich doch. Aber ich musste dir eine wischen, denn der Vater von S. war unberechenbar in dem Moment. Niemand hat jemals geglaubt, dass du beim Greißler gestohlen hast. Jedem war das klar.“
Und ich finde das unheimlich schön, weil sie sofort wusste, wovon ich rede. Und ich verstehe meine Mutter und dass sie mir eine gewischt hat. Hätte ich vielleicht auch so gemacht (ja, köpft mich jetzt). Mein Vater konnte damals nichts sagen, weil ihm vor Stolz die Worte fehlten. Deswegen hat er das doofe Ding bezahlt. Das Ding, das ich nie wollte und dann S. geschenkt habe.
Warum haben sie nicht schon früher etwas gesagt?
Sogar das verstehe ich. Hätten sie mir es gesagt, als ich noch ein Kind war, dann hätte ich die falschen Schlüsse ziehen können. Und aus mir wäre eventuell eine Meisterdiebin geworden. Wer will das schon? So fühlte ich die Peinlichkeit des Erwischtwerdens. Ein sehr unangenehmes Gefühl. Also habe ich nie etwas blödes getan und schon gar nicht habe ich gestohlen.
Sie nutzten quasi die Gunst der Stunde und erteilten mir eine Lektion, ohne schlimmere Konsequenzen. Sie waren nie sauer auf mich (also zumindest nicht deswegen) sondern sie waren stolz auf mich. Weil ich so weit war, dass ich jemand schwächeren schützte, in dem ich etwas auf mich nahm, dass ich nie verbockt hatte. So unangenehm das auch war, für alle beteiligten. Auch für S.
Habt ihr auch ein Erlebnis in der Kindheit gehabt, dessen Rätsel sich erst im Erwachsenenalter auflöste? Oder Reaktionen eurer Eltern, die ihr erst jetzt versteht, wo ihr selber Eltern seid?
Erzählt mir davon in den Kommentaren, wenn ihr wollt. Ich würde mich sehr darüber freuen.
Eure Babsi (die Nicht-Meisterdiebin)
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Ein anrührende Geschichte. Da weiß man gar nicht, was man sagen soll.
Deine Eltern hatten großes Vertrauen in dich und kannten dich also sehr genau. Auch wenn es sich erst so spät aufgelöst hat, muss das ein tolles Gefühl sein.
Es ist ein unbeschreiblich schönes Gefühl Ich war selbst echt sprachlos, als sie sagte, ALLE wussten das. Gut, ich hätte es mir denken können, denn die Leute haben mir trotzdem weiterhin Geld anvertraut. Aber als Kind denkst du nicht so weit