Heute ist für meine „kleine“ Familie ein großer, lang herbei gesehnter, wichtiger Tag. Ab heute ändert sich einiges. Nichts bleibt beim Alten. Veränderung tut gut. Veränderung ist wichtig. Alles begann vor über drei Jahren.
Eine Reise zurück
Es ist das Jahr 2012. Um genauer zu sein, Dezember 2012. Mein Mann arbeitet in einer großen Firma an einer Anlage, die Relais herstellt. Er ist in der Wochenend-Schicht. Immer. Für einen Familienvater nicht gerade das Beste. Zeittechnisch. Finanziell gesehen war es schon nicht schlecht.
Doch es vergeht kein Wochenende mehr, an dem er nicht demotiviert nachhause kommt. Grund ist die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Die Firma wurde auch schwer von der Wirtschaftskrise getroffen. Seit Monaten werden Kürzungen vorgenommen. Auch bei den Mitarbeitern. Da Produktion verringert werden musste, gab es plötzlich zu viele Arbeiter. Wie gesagt, es war schlimm.
Kurz vor Weihnachten dann die Gewissheit. Auch die Stelle des Chaos-Mannes ist betroffen. Es wird ihm mitgeteilt, dass er auf der „Liste“ steht. Vor Weihnachten nicht gerade eine schöne Sache. Aber die Gewerkschaft stellte damals etwas Großartiges auf die Beine. Da so viele ihren Arbeitsplatz verloren hatten bzw noch verlieren sollten, wurde eine Arbeitsstiftung gegründet. Ein letzter Strohhalm für die Mitarbeiter. Auch meinem Chaos-Mann wurde diese Möglichkeit unterbreitet. Er hatte damals schon die Berufsreifeprüfung und wenn er in die Arbeitsstiftung ginge, dann könne er jede Ausbildung, die ihn beruflich nützlich sein könnte, machen.
Wir haben uns das gut überlegt. Wir haben lange darüber gesprochen. Viel diskutiert. Und ich wusste genau, worauf ich mich einlassen würde. Also stimmte ich zu. Er solle das machen. Endlich könnte er seinen lang gehegten Wunsch erfüllen.
Frühjahr bis Sommer 2013
Mein Chaos-Mann hatte eine einvernehmliche Kündigung unterzeichnet. Er nahm an den Stiftungssitzungen teil und es wurde an der Erreichung seines Zieles gearbeitet. Man zeigte ihm Möglichkeiten und Wege auf. Doch irgendwie wollte es nicht klappen. Er stolperte von einem unbefriedigenden Praktikum ins nächste. Er fand nicht wirklich seinen Platz. Er wurde immer deprimierter und gab auf. Im Sommer nahm er eine Arbeitsstelle als Verkäufer an. Er war nicht glücklich damit, aber er betrachtete es als seine Pflicht. Er ist ja schließlich Familienpapa. Und Papas jagen keinem Traum hinter her. Zumindest hörte er das (nicht von mir…möchte ich nur so erwähnen). Er war sehr traurig und ich litt mit ihm.
Vor Ablauf der Probezeit setzte ich mich mit ihm hin und riet ihm, diese Stelle wieder aufzugeben. Denn lieber ist mir, wir haben ein finanzielles Problem, als er hat ein psychisches (das riet ich ihm auch, als er das mit der Stiftung erfuhr). Mein Chaos-Mann überlegte hin und her, doch am Ende war er dann doch überzeugt.
Herbst 2013
Alles kommt so, wie es eben kommen muss. Alles hat seinen Sinn und seinen Zweck (höhere Mächte und so…). Er hatte sich wieder einmal im Internet schlau darüber gemacht, wie er seinen Traum doch erfüllen kann. Ich war sehr dankbar darüber, denn es zeigte mir, dass seine Lebensgeister wieder erwachten. Er hatte wieder Mut. Und ich kann sagen, dass er mit Sicherheit öfter nachgesehen hat, als dieses eine Mal. Doch an diesem Tag fand er etwas, das unser Leben verändern sollte. Eine Schule für Erwachsene. Eine HTL, die in einem Abendkollege „Bautechnik im Holzbau“ anbot. Sofort war er Feuer und Flamme dafür. Genau das, wonach er schon seit Monaten suchte. Nach Rücksprache mit der Schulleitung und der Arbeitsstiftung konnte er ab Oktober am Unterricht teilnehmen.
Das Abendkollege war gratis. Mehr oder weniger. Denn es ist 90 km (eine Strecke) von uns entfernt. Öffis gibt’s nicht wirklich. Also mit dem Privatauto fahren. 4 bis 5 Mal in er Woche. Mit einem Dieselauto, das auf 100 km 8 Liter schluckt. Gratis war das natürlich nicht. Und von günstig auch weit entfernt. Aber wir bissen in den sauren Apfel. Wieder ein Stück näher an seinem Traum.
Die Zeit der Ausbildung
Ich wusste, dass es nicht einfach sein würde. Mir war klar, dass es hart werden würde. Eine große Herausforderung für uns als Familie. Eine gewaltige finanzielle Hürde. Doch was dann geschah, übertraf alle Vorstellungen. Denn wir, als Familie, hatten so gut wie nichts mehr vom Chaos-Mann. Ein Haus, das 156 m2 Fläche zum Leben hat, wurde zu klein. Ständig war es ihm zu laut. Dauernd hörten wir, dass wir leiser sein sollen, denn er hat zu lernen. Wochenende gab es so gut wie gar nicht als Familie. Denn auch am Samstag war Unterricht. Wir verpassten tolle Möglichkeiten als Familie was zu erleben. Entweder aus Mangel an Zeit oder aus Mangel an Geld. Denn das wollte auch gut eingeteilt sein.
Dann wurde ich überraschend Schwanger mit unserem Mupfel (überraschend deswegen, weil wir schon über 1,5 Jahren bastelten und wir uns damit abgefunden hatten, keines mehr zu bekommen). Und ich war am Ende. Ich wusste nicht, wie ich das alles schaffen sollte. Seine Launen ertragen. Ja, richtig. SEINE. Er hatte es nicht einfach in der Schule. Mitschüler waren nicht ganz nett zu ihm (bis auf zwei waren alle jünger als er) und seine Professoren waren auch nicht besonders motiviert. Diesen ganzen Frust hat er immer mit nachhause genommen und an uns ausgelassen.
Ganz ehrlich, wir standen kurz vor der Trennung. Er mitten in der Ausbildung, ich hochschwanger. Ich konnte und wollte nicht mehr. Doch plötzlich ging uns ein Licht auf. Wir können es schaffen, wir müssen nur wieder fest zusammenhalten. Dann geht das schon. Alles wird gut. Unseren Alltag ein wenig umstrukturieren. Kleine Veränderungen zeigen oft große Wirkung. Und tatsächlich. Es wurde wieder besser. Gemeinsam haben wir uns auf Kind Nummer vier gefreut. Gemeinsam haben wir uns auf den Sommer gefreut. Gemeinsam haben wir uns über Dinge geärgert. GEMEINSAM! Er war wieder für mich und die Kinder da. Ich habe ihm wieder besser zugehört.
Und plötzlich…
…ist es vorbei. Er hat es geschafft. Die schriftlichen Prüfungen hat er abgelegt und positiv bestanden. Heute ist sein letzter Tag an der Schule. Denn heute hat er noch die mündliche Abschlussprüfung und dann ist es endlich VORBEI und wir können neue Wege gehen. Er hat bereits eine Arbeitsstelle. Nicht nur in seinem Wunschberuf, sondern sogar in seiner Wunschfirma. Die Firma, wegen der er überhaupt in diese Sparte wollte.
Und er hat es sich verdient. Nicht nur eine Nacht hat er sich um die Ohren geschlagen. Nicht nur einmal stand er vor der Entscheidung aufgeben oder weitermachen. Nebst Schule machte er auch noch ein Berufspraktikum. Nicht nur einmal ist es vorgekommen, dass er nach harter Arbeit auf der Baustelle direkt in den Unterricht musste. Mit dem Wissen, dass Frau und Kinder (dann auch noch Baby) seit früh morgens alleine und ohne Auto dasitzen. Er hat es sich verdient, dass sein Traum nun endlich in Erfüllung geht.
Das Kapitel kann geschlossen werden
Ich bin mehr als nur stolz auf meinen Chaos-Mann. Und mein Chaos-Mann ist mehr als nur glücklich. Diese schwere Zeit ist vorbei und wir können dieses Kapitel unseres Lebens abschließen. Mit dem Wissen, dass es sich gelohnt hat. Nicht nur für die finanzielle Lage, sondern vor allem für die Familie. Ich kann Geschehenes nicht ungeschehen machen. Und Gesagtes kann ich nicht zurücknehmen. Aber das ist auch gut so. Durch diese schwere Zeit haben wir es nur GEMEINSAM als Familie geschafft. Wir sind enger zusammengerückt. Es wurde uns eindrucksvoll gezeigt, dass vor allem wir füreinander da sein müssen, sonst geht nichts mehr. Wer weiß, ob wir das gelernt hätten, hätte mein Chaos-Mann nicht diesen Weg gewählt. Die Kinder haben Bescheidenheit gelernt, denn man kann eben nicht alles haben (das wird natürlich so fortgeführt) und es gibt wichtigere Dinge im Leben, als der Besitz von materiellen Sachen.
Danksagung (darf ja hier jetzt auch nicht fehlen)
Ich bedanke mich bei allen, die diesen schweren Weg mit uns gegangen sind. Uns aus der Patsche geholfen haben, wenn nichts mehr ging. Die an uns und vor allem an meinen Chaos-Mann geglaubt haben. Und ich bedanke mich bei denen, die unser Leben verlassen haben. Ihr wart nicht da, als es schwierig wurde. Ihr habt es auch nicht verdient hier zu sein, wenn es besser ist.
Und an alle, die sagten, der schafft das doch nie! Euch kann ich nur sagen:
HA!!
Und wir begeben uns jetzt auf einen neuen Weg. In eine bessere Zukunft. Wir werden es schaffen, dass wir am Ende sagen, wir haben genau so gelebt, wie WIR das wollten.
Eure
Babsi
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und ohne dich wäre das auch nie gegangen. also – klopf dir mal selber auch auf die schulter!